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Latein – eine unsterbliche tote Sprache

Er lebt für die Klassischen Sprachen und die Sprachen leben für ihn. Kein Wunder, denn Prof. Dr. Markus Schauer lehrt Klassische Philologie an der Universität Bamberg. Der ehemalige Schumanist, Abiturjahrgang 1987, hielt im Rahmen des 50-jährigen Schuljubiläums des RSG am Donnerstag, den 24. Januar 2019, einen Vortrag unter dem Titel „Latein und Europa – Hommage an eine quicklebendige Sprache“.

Zunächst erläuterte er die provokante These „Latein ist tot, es lebe Latein!“, mit der vor einigen Jahren der Münchner Altphilologe Wilfried Stroh großes mediales Aufsehen erregt hatte, näher und bewies ihre Richtigkeit. In der Tat seien die bekannten antiken Klassiker nur ein Bruchteil – nach Hochrechnungen wohl nur ein Zehntausendstel – der vorhandenen lateinischen Literatur. Denn gerade im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit sei Latein noch lange Zeit die Sprache der Wissenschaft geblieben und so seien zahllose wissenschaftliche Abhandlungen wie etwa Carl von Linnés (lat. Carolus Linnaeus) „Systema naturae“ (1735) selbstverständlich in lateinischer Sprache verfasst worden. Auch dürfe man nicht die zahlreichen neulateinischen tragischen und epischen Werke vergessen, die ihre antiken Vorbilder zahlenmäßig bei weitem übertreffen. Zuletzt aber sei Latein natürlich lange Zeit die Amtssprache in den europäischen Staaten geblieben – in Ungarn sogar bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts! Erst danach hätten die Landessprachen an Bedeutung gewonnen und Latein als gesprochener Verkehrssprache den Rang abgelaufen.

Bereits der im 16. Jahrhundert lebende französische Humanist Marc Antoine Muret (lat. Marcus Antonius Muretus) hatte das Paradoxon festgestellt, dass Latein gerade zu einer stilbildenden klassischen Sprache geworden sei, als es aufhörte, im Alltag gesprochen zu werden. Denn gerade im alltäglichen Gebrauch verändert sich Sprache und ist somit einem permanenten Wandel unterworfen. Gerade mit dem Verschwinden des letzten Native- Speakers ist Latein also erst unveränderlich und damit gleichsam „unsterblich“ geworden und konnte sich als diachroner Kulturträger beweisen! Erst durch dieses „Erstarren“ in der Hochsprache ist Latein zur klassischen Sprache geworden.

Doch welche Rolle misst Prof. Dr. Schauer dem Lateinischen heute zu? Zunächst wusste er mit dem Fakt zu überraschen, dass die Anzahl der Lateinlerner an den Schulen noch nie so hoch war wie heute. Zudem verwies Schauer auf die Möglichkeit, die Latein für die multikulturelle Gesellschaft von heute bietet. Wie einst als lingua franca im internationalen Austausch so kann Latein auch heute noch als sprachbildendes Brückenfach dienen, wie ein von Prof. Dr. Stefan Kipf am Ernst-Abbe-Gymnasium im Berliner Stadtteil Neukölln initiiertes Konzept mit Erfolg beweist.

Latein trage auch an diesem Gymnasium, an dem mehr als 90 Prozent der Schülerinnen und Schüler nicht deutscher Herkunft sind, zunächst mit seinen klaren Strukturen zum Erlernen der deutschen Sprache bei und rege die Schülerinnen und Schüler zugleich zum Vergleich mit der deutschen Sprache und der eigenen Muttersprache an. Dabei habe Latein als nicht gesprochene Sprache den Vorteil, dass es für alle gleich leicht oder schwer zu erlernen sei und daher niemand im Vorteil sei.

Daneben aber erlaube der Lateinunterricht Einblicke in eine längst vergangene Kultur, die sich von unseren Zeitumständen in vielem deutlich unterscheide und daher natürlich bestens geeignet sei, einen interkulturellen Diskurs anzuregen. Schauer bewies dies mit einigen Beispielen:

So hinterfragte niemand im alten Rom die Ungleichheit der Menschen: Das Zurückstehen der Frau hinter dem Mann schlug sich sogar in der lateinischen Grammatik und Lexik nieder. Auch wurde das Phänomen der Sklaverei, d.h. der Ungleichheit von Herr und Sklave, in der Antike nicht hinterfragt. Weder ein Cicero noch ein so feinfühliger Philosoph wie der Stoiker Seneca äußerten grundsätzliche Zweifel an dieser unmenschlichen Praxis. Im Gegenteil, die stoische Philosophie erkannte zwar die biologische Gleichheit der Menschen, leugnete aber jegliche Relevanz äußerer Lebensumstände für das individuelle Lebensglück des Menschen und lieferte so eigentlich eine Rechtfertigung für die Unterdrückung und Qual vieler Menschen! Gerade an diesem Punkt aber, meinte Prof. Schauer, gelte es anzusetzen: Denn es sollten nicht nur die Ähnlichkeiten, sondern auch die Unterschiede durch das Fach Latein herausgearbeitet werden, sodass Latein durch die Chancen, über Kultur zu reflektieren, ein wertvolles Brückenfach sei.

Schulleiter Günter Habel bedankt sich bei Prof. Dr. Markus Schauer.

Mit diesem Ausblick beendete Prof. Dr. Schauer seinen tiefsinnigen und zugleich sehr kurzweiligen Vortrag und stellte sich den Fragen des interessierten Publikums. Zum Abschluss bedankte sich Schulleiter Günter Habel im Namen der Schulfamilie bei Herrn Prof. Dr. Markus Schauer und überreichte ihm zum Dank die Festschrift der Schule sowie eine gläserne Eule als Zeichen der Weisheit.

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