Ein Klassiker in modernem Gewand
„Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes, welcher so weit geirrt, nach der heiligen Troja Zerstörung.“ So beginnt Homers „Odyssee“, die auf das 8. vorchristliche Jahrhundert datiert wird, in der berühmten Übersetzung von Johann Heinrich Voß. Schwere Kost also auf der RSG-Theaterbühne? Keineswegs! Umfasst doch die „Odyssee“ eine Fülle an Motiven, welche die gesamte Weltliteratur geprägt haben und bis heute mitten ins Herz treffen, wie Versuchung und Treue, Freundschaft und Verrat, Liebe und Hass.
Beim Betreten der Turnhalle fiel dem Zuschauer zunächst das imposante Bühnenbild ins Auge, denn diesmal scheute Theatermacher Wolfram Steininger nicht einmal davor zurück, den Götterberg Olymp auf der Bühne entstehen zu lassen. Die dort meist fernsehglotzende Götterfamilie rund um den überheblichen und weibstollen Zeus (Paul Gebhard) hatte allerdings - ganz im Sinne des anthropomorphen Götterbildes der Antike - mehr menschliche als göttliche Züge: Ja, Hermes, der Götterbote selbst (Leo Meierhofer) erwies sich als faul und schläfrig: „Wo bleibt mein Espresso?“. Im Sinne der Version, die Steininger für seine bunte Truppe bearbeitet hat und die vermehrt die Frauengestalten in den Fokus nimmt, ist es Athene (Katja Frank), die Merkurs Aufgaben immer wieder souverän erledigt und das Heft oder besser den Speer in der Hand hat. Über eine Feuerwehrstange gleitet sie elegant in die Menschenwelt herab und führt den Helden immer wieder auf die rechte Bahn zurück.
Als strahlender Held Odysseus glänzte David Binder, dem es mit seinem variantenreichen Spiel gelang, den Listenreichen mit all seinen Facetten darzustellen. Odysseus Ehefrau Penelope (Sophia Baltes), die seit Jahren die Regierungsgeschäfte in Ithaka alleine bewältigen muss, ist umgeben von Freiern (Amelie Thurner, Simone Kagermeier und Jannis Gerstendorff), die stinken, ohne Manieren und besoffen sind, - sogar eine Frau ist unter ihnen. Dies kommt selbst für die emanzipierte Penelope 2000 Jahre zu früh. Doch lange kann sie die Freier nicht mehr hinhalten.
Aber wo ist Odysseus eigentlich? Auf den Meeren hin und hergeworfen, dem Wüten des erzürnten Gottes Poseidon ausgesetzt, gestrandet an vielen Küsten. Ein Schiffsbug aus Treibholz symbolisiert dies. Er ragt in den Zuschauerraum hinein, vielleicht weil die Motive der „Odyssee“ uns heute noch bewegen. Daher rezitierte auch der Dichter Homer (Johannes Pongratz) seine unsterblichen Zeilen direkt aus dem Tablet. Lediglich die original griechischen Verse erklangen aus dem Off: gleichzeitig fremdartig und wohltönend.
Während Odysseus` Sohn Telemach (Maximilian Späth) aus Ithaka aufbricht, um seinen Vater zu suchen, richtet sich auch der Blick der olympischen Götter auf den Aufenthaltsort des Helden. In einem Video-Einspieler kann man zusammen mit Zeus durch ein Fernglas die wunderschöne Nymphe Kalypso (Theresa Hackl) beobachten und erahnen, wie sie mit ihrer liebreizenden Gestalt Odysseus für sich eingenommen und an sich gebunden hat. Da Alltag und Gewohnheit aber der Feind des Aparten sind, kann Odysseus nach sieben Jahren weder Kalypso noch den ihm täglich servierten Wachteleiern mehr etwas abgewinnen und sehnt sich nach der Heimat zurück. Gänsehaut-Feeling lag in der Luft, als Theresa Hackl als verlassene Kalypso mit von Tränen beinahe erstickter Stimme den Song „Yesterday“ anstimmte, in den sie aber zugleich auch das göttliche Selbstbewusstsein der Nymphe mit hineinzulegen vermochte.
Am Hof der Königsfamilie der Phaiaken (Antonia Wilnhammer, Jens Breu und Freya Beikler) strandet Odysseus als nächstes. Hier erzählt er auch, wie die Zauberin Kirke (Eva Stanilewicz) ihn und seine Gefährten vergeblich bezirzt hat. Ebenso vergeblich haben die Sirenen versucht, Odysseus und seine Mannen ins Verderben zu stürzen, da diese Wachs in den Ohren hatten, er selbst sich an den Schiffsmast hat binden lassen. Eine Liveband bestehend aus Sirenen im Flowerpower-Look (Johanna Ebert, Ina und Isabell Kreis, Alina Stuiber, Theresa und Johannes Hackl), eine davon sogar bärtig, gibt alles, doch weder „La Isla Bonita“ noch „Sara perchè ti amo“, noch die Geheimwaffe des deutschen Schlagers „Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“ funktioniert, sodass die Sirenen eine nach der anderen völlig entnervt die Bühne verlassen.
Auch die blutjunge Prinzessin Nausikaa vermag Odysseus schließlich nicht zu halten, ein Schiff wird in einer stimmigen Choreographie seetüchtig gemacht. Aufwendig wird hier ein besonders ästhetisches Bild kreiert, das die Abfahrt des Odysseus von der Insel der Phaiaken zurück nach Ithaka zu Penelope zeigt. Dort angekommen besiegt Odysseus die Freier im Bogenschießen und schickt sie nach Hause.
Auch wenn Fragen offenbleiben, finden Odysseus und Penelope, die ihm in all den Jahren treu geblieben ist, am Ende zum harmonischen Gleichschritt ihrer Ehe zurück. Symbolisch dargestellt im gemeinsamen Tanz zur Livemusik, die direkt vom Olymp kommt. Da gingen Bühnenbild, Musik und Schauspiel eine perfekte Symbiose miteinander ein und gaben Raum zum Nachspüren.
In der bis auf den letzten Platz gefüllten Turnhalle brandete am Ende Applaus auf für die Schauspielgruppe der Mittel- und Oberstufe, die auch durch ehemalige Schüler (Leo Meierhofer, Ida Asal und Johannes Hackl) verstärkt worden war. Schulleiter Zell würdigte nicht nur das Spiel in den großen und kleinen Rollen, sondern auch das nächtelange Kulissenbauen unter Steiningers fachmännischer Anleitung und die professionelle Bühnentechnik, die wie immer ganz in Schülerhand lag. Den Schülerinnen und Schülern der Theatergruppe ist es unter der Ägide von Regisseur Steininger mit viel Spielfreude gelungen, die Werte der Antike und die unsterblichen Mythen in die Gegenwart zu transportieren. Gewidmet hat Steininger die Aufführung den verstorbenen Altphilologen Max Altmann und Dr. Walter Kerscher, denen das RSG ein ehrendes Andenken bewahrt.
Autor: Susanne Frisch
Bilder (Rechte Dr. Tobias Hanauer)