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Erinnerung eine Stimme für Toleranz geben 

09. November 2025

„Wir sind heute zusammengekommen, um nicht zu vergessen, was unsere Augen gesehen haben von brennenden Synagogen in ganz Deutschland 1938. Danke, dass Sie alle gekommen sind und sich den Erinnerungen stellen mit all den Schuldgefühlen und den Ängsten, die gerade heute wieder wachsen.“ Mit diesen Worten eröffneten Dr. Michael Rummel, Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Pfarrei Cham-Furth im Wald-Waldmünchen und Dekanatsbeauftragter für den christlich-jüdischen Dialog, sowie Dekanin Ulrike Dittmar vom Dekanat Cham/Sulzbach-Rosenberg/Weiden am Sonntagabend die Gedenkveranstaltung „Singing Communion – Gemeinsam Eins“. Dazu hatte auch das Bündnis für Toleranz und Menschenrechte im Landkreis Cham/Cham gegen Rechts eingeladen. 
Etwa 50 Teilnehmer gedachten im ehemaligen jüdischen Betsaal, der Aula der Ausweichstelle des Robert-Schuman-Gymnasiums, der Opfer der Pogromnacht vor 87 Jahren. Mit Liedern, Gedichten und Gebeten aus der jüdischen und christlichen Tradition sollte der Erinnerung Raum gegeben werden und zugleich der Blick auf Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und respektvolles Miteinander in der Gegenwart gerichtet werden. 
Eine Gruppe von elf Jugendlichen, meist Schüler des RSG, trug abwechslungsreich einzeln und gemeinsam die historischen Ereignisse bis zur Schoah (Völkermord), Erinnerungen von Zeitzeugen, Berichte über die Lebensverhältnisse, Schicksale und Gefühle aus dieser Zeit, sowie die Gedichte „Das jüdische Schtetl“ und „Lichter“ vor: lebendiger, prägnanter und eindringlicher Geschichtsunterricht. 
 
Synagogen in Brand gesetzt 
 
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 brannten überall in Deutschland um die 1400 Synagogen, wurden tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe gestürmt, während des Novemberpogroms (Pogrom = Verwüstung) jüdische Mitbürger ermordet und in der Folge deportiert. Marian Janka, einer der Bündnissprecher, listete die Ereignisse von damals auf. Bereits 1933 begann das Nazi-Regime mit der „Arisierung“. Diese wurde 1935 mit den Nürnberger Rassegesetzen weitergetrieben. Die Reichspogrom- nacht änderte alles. Gleich danach wurden Verordnungen erlassen: zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben und mit der Verpflichtung, Gewerbebetriebe, Grundbesitz und Wertpapiere abzugeben. Juden wurden als Sündenböcke und inneres Feindbild für die Volksgemeinschaft dämonisiert. Stellvertretende Schulleiterin Sandra Wagner sprach von dem besonderen Auftrag des RSG, dass Erinnerung nicht bloß ein Rückblick, sondern auch eine Haltung sein müsse. Die historischen Fakten müssten Stimmen, Gefühle und Namen bekommen, was diese Veranstaltung bewirke. Hinzu komme die Verpflichtung, wachsam gegen jede Form von Ausbeutung, Ausländerfeindseligkeit, Hass und Demokratiefeindlichkeit zu sein. 
Michaela Stahl, Lehrerin und Betreuerin des Projekts „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage am RSG“, zitierte Viktor Frankl, Überlebender des KZ Auschwitz, was der Mensch sei: „Wir haben ihn kennengelernt wie vielleicht noch keine Generation. Er ist das Wesen, das die Gaskammern erfunden hat und zugleich auch jenes, das in die Gaskammern gegangen ist, aufrecht und ein Gebet auf den Lippen.“ Mit „In dieser Nacht zerbrach nicht nur Glas, sondern auch die lange Zeit des friedlichen Miteinanders in unserem Land“ begann Bürgermeister Martin Stoiber seine Rede. 1938 habe sich dieser Betsaal der Israelischen Kultusgemeinde hier im ersten Stock des Gasthauses Goldene Weltkugel befunden. Diesem Umstand sei es vielleicht zu verdanken, dass man das Gebäude nicht beschädigen wollte. Immer mehr Stimmen und Zeitzeugen seien am Verstummen und gäben den Stab an uns weiter, die Erinnerung wachzuhalten. “ 
 
Gelbe Narzissen gepflanzt 
 
Anja Schmid, Mitglied im evangelischen Kirchenvorstand, stellte das „Daffodil-Project“ vor. Zum Gedenken an die 1,5 Millionen im Holocaust ermordeten Kinder soll für jedes eine Narzisse gepflanzt werden, deren leuchtendes Gelb an den Davidstern erinnert und die jeden Frühling mit einem Farbtupfer zurückkehrt: ein weltweites lebendiges Holocaust-Mahnmal. Im Stadtpark sowie in Schulen und Kindergärten der Stadt und des Landkreises seien bereits Pflanzungen erfolgt. Organisatorin Amy Weinstein war mit Juden unterwegs und konnte deren Gefühle wahrnehmen: „Viele haben Angst, nur weil sie Juden sind – ich auch!“ Das erzeuge Traurigkeit und Entsetzen, auch, weil sie von der Polizei begleitet werden mussten. 
Vorne im Betsaal hatte sie als jüdisches Grab Symbole gelegt, so einen siebenarmigen Kerzenständer (Menora), eine kleine Kopfbedeckung (Kippa), eine Ratsche (Gragger) und einen Steinbrocken, auf den die Akteure und Besucher als Brauch einen kleinen Stein legten: Zeichen für Unvergänglichkeit und Anteilnahme. Ihre zusammengestellten Texte verliehen der Würde der Betroffenen Ausdruck: das Gebet zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus 2025 (Pfarrer Rummel und Dekanin Dittmar), das von ihr vorgetragene jüdische Gebet „El male rachamin“ zum Gedenken an die Holocaust-Opfer und die von allen gesprochenen Worte der jüdischen Dichterin Rose Ausländer „Der Traum lebt mein Leben zu Ende“. 

Text und Bilder: Ferdinand Schönberger (Bayerwald-Echo) 

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